Neue Studie zu den Gefahren durch Diclofenac

(16.12.2014) Diclofenac, ein Entzündungshemmer für Nutztiere, ist eine Gefahr für Geier-Populationen und sollte daher europaweit verboten werden. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Team von Veterinärmedizinern und Biologen, darunter der Berner Forscher Antoni Margalida, in einer «Science»-Studie.

Diclofenac, ein entzündungshemmendes Medikament für Nutztiere, wurde bereits in vier südasiatischen Ländern verboten, nachdem es dort beinahe zum Aussterben mehrerer Geier-Arten geführt hatte. Dennoch erlauben Spanien und Italien seit kurzem den Einsatz des Mittels.

Ein internationales Team von Biologen und Veterinärmedizinern setzt sich nun in einer Studie in der Fachzeitschrift Science für ein EU-weites Verbot ein.


Auch der in Spanien verbreitete Gänsegeier (Gyps fulvus) ist von den Medikamenten-Rückständen in den Kadavern bedroht

Mit der Zunahme des weltweiten Fleischkonsums seien grössere Anstrengungen als bisher nötig, damit Nutztier-Pharmazeutika nicht die Umwelt kontaminierten, argumentieren die Autoren. Zudem gelte es, die Auswirkungen der Arzneimittel auf Mensch und Umwelt genauer zu beobachten.

Als Vorbild für nachhaltige und proaktive Massnahmen sollen bereits laufende Umwelt-Programme im Bereich der Humanpharmazeutika dienen.

«Die Freigabe von Diclofenac zeigt, dass zwischen den Erkenntnissen der Umweltwissenschaften und der Risikoanalyse von Nutztier-Pharmazeutika eine Lücke klafft», sagt Co-Autor Antoni Margalida vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern und dem Department of Animal Production an der Universität Lleida, Spanien.

Laut Margalida, der 2013 für seine Arbeit zum Schutz des Bartgeiers den Umweltpreis der Universität Bern erhielt, muss deshalb der transdisziplinäre Dialog zwischen Forschenden, Behörden und Veterinären verbessert werden.

Die EU hinkt Südasien hinterher

Hintergrund der Studie ist eine für Dezember erwartete Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur über die künftige Nutzung von Diclofenac. In den meisten europäischen Ländern wird das Mittel bislang nicht eingesetzt.

Die Ausnahme bilden Spanien und Italien, wo es 2013 für den Einsatz bei Rindern, Schweinen und Pferden zugelassen wurde. Lead-Autor Thijs Kuiken vom Erasmus University Medical Center in Rotterdam sagt, er sei «schockiert» gewesen, als er davon gehört habe.

Denn: In Spanien leben gegen 95 Prozent der europäischen Geier-Population. Sie vertilgen jährlich 8000 Tonnen Kadaver aus der Nutztier-Produktion. Dies verhindert unter anderem die Ausbreitung von Seuchen und spart Entsorgungskosten von rund 1,5 Millionen Euro jährlich.

Die Autoren der Studie befürchten, dass nun Europas Geiern – die meisten Arten sind bereits bedroht – ein ähnliches Schicksal drohen könnte wie ihren südasiatischen Verwandten. In Indien, Pakistan und Nepal dezimierte der Einsatz von Diclofenac in den 1990ern zahlreiche Populationen. Bereits kleinste Diclofenac-Spuren in Tierkadavern können bei den Geiern, welche diese fressen, zu Nierenversagen und damit zum Tod führen.

2006 verbot die indische Regierung das Mittel; Nepal, Pakistan und Bangladesch folgten. Seither hat sich die südasiatische Geier-Population etwas erholt. «Wir können nur hoffen, dass die EU aus der vorbildlichen Reaktion der südasiatischen Regierungen lernt», sagt Co-Autor Martin Gilbert von der Wildlife Conservation Society (WCS), einer US-amerikanischen Naturschutz-Stiftung.

Diclofenac nur Teil eines grösseren Problems

Die Auswirkungen von Diclofenac auf die Geier ist gemäss Studie bloss ein Aspekt eines weitaus grösseren Problems. 2004 wurden bei der Produktion von Tierpharmazeutika in der EU geschätzte 6051 Tonnen bioaktiver Substanzen verwendet.

Zwar müssen neue Mittel in der Europäischen Union eine Umweltrisikoanalyse durchlaufen. Doch nicht alle der rund 2000 bereits im Einsatz befindlichen Medikamente wurden gründlich getestet. Zudem, so die Kritik der Studien-Autoren, gebe es Lücken im Gesetz. Diclofenac etwa unterliegt als sogenannt nichtsteroidales entzündungshemmendes Mittel nicht der Umweltrisikoanalyse.



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