Das Zoonoserisiko durch Toxocara für den Fehlwirt Mensch wird unterschätzt

(30.06.2016) Interview mit Prof. Dr. Auer zu Helminthen bei Hund und Katze und ihr humanpathogenes Potential

Herbert Auer ist Leiter der Epidemiologie und Diagnostik von Helminthen-Zoonosen am Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Toxokarose und die Echinokokkosen in Mitteleuropa.

Herr Prof. Auer, welche Wurmarten haben die größte Verbreitung in Deutschland? Und welche können auch für den Menschen zum Problem werden?

Das sind sicherlich die Spulwürmer Toxocara canis und Toxocara cati. In Österreich haben z.B. bis zu 20 Prozent der Hunde, die Hälfte der Füchse und 70-80 Prozent der Katzen Spulwürmer.


Toxocara canis

Die Zahlen für Deutschland und andere Länder Mitteleuropas sind ähnlich. Hier ist es wichtig zu wissen, dass Spulwürmer, genauer gesagt deren Larven, auch den Hunde- und Katzenhaltern gesundheitliche Probleme bereiten können – ein Aspekt, der in der Humanmedizin häufig unterschätzt wird.

Bandwürmer kommen hingegen bei Hunden in Mitteleuropa selten vor. Der einzige Bandwurm, der vergleichsweise häufig ist, ist der so genannte Gurkenkernbandwurm (Dipylidium caninum). Er spielt für den Menschen jedoch eine untergeordnete Rolle. Der Mensch kann zwar befallen werden, aber das ist extrem selten.

Gibt es Zahlen zur Inzidenz der humanen Toxokarose in Deutschland?

Genaue Zahlen zur Inzidenz gibt es nicht. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist die Toxokarose als Krankheit beim Menschen bei der großen Mehrheit der Humanmediziner unbekannt – und daher wird selten danach gesucht. Zum anderen sind Spulwurmfälle nicht meldepflichtig.

Wir wissen allerdings aus seroepidemiologischen Studien in Österreich und Deutschland sehr viel mehr über die Prävalenz. Dabei wurden Blutproben von Tierärzten, Landwirten, Jägern und Blutspendern auf Antikörper gegen Spulwürmer untersucht. Auf dieser Basis können wir sagen, dass in der Normalbevölkerung von einer Seroprävalenz von 3-5 Prozent auszugehen ist.

Bei Menschen mit einem erhöhten Kontakt zu Hunden und Katzen ist dieser Wert sehr viel höher – bei Tierärzten liegt er bei rund 27 Prozent. Die Gruppe mit den höchsten Durchseuchungsraten sind die Landwirte. Da haben wir anhand von Proben aus ganz Österreich eine Seroprävalenz von ungefähr 38 Prozent festgestellt. Professor Kimmig kam in seiner Untersuchung in Deutschland Ende der 90er auf einen ähnlichen Wert.

Es ist natürlich nicht so, dass jeder dieser seropositiven Menschen klinische Symptome entwickelt. Wir schätzen, dass pro Jahr einige Hundert an Toxokarose erkranken, von denen aber nur ein kleiner Teil die richtige Diagnose erhält.

Welche Auswirkungen kann eine Toxokarose beim Menschen haben?

Toxocara-Infektionen können sich beim Menschen klinisch ganz unterschiedlich manifestieren. Typisch ist das Lava-migrans-visceralis-Syndrom, das man in den 50er Jahren erstmals bei Kindern beschrieben hat und das mit Fieberphasen, einer vergrößerten Leber, erhöhter Eosinophilie und rezidivierenden Bronchitiden einhergeht. Daneben gibt es das okuläre Larva-migrans-Syndrom. Das ist dann der Fall, wenn die Spulwurmlarven in die Augen bzw. den Augenhintergrund eindringen, was zum Visusverlust führen kann. Das kommt allerdings seltener vor.

Dann gibt es das Krankheitsbild der so genannten verdeckten Toxokarose, bei der v.a. Kinder durch Hyperaktivität, Schlafstörungen und Aggressivitätssteigerungen auffallen. Daneben gibt es die gemeine Toxokarose, die mit einer gastrointestinalen Symptomatik bei Erwachsenen in Verbindung gebracht wird, obwohl die Erreger selbst nie in den Darm gelangen.

Und als letzte Form gibt es die zerebrale bzw. Neuro-Toxokarose, wenn die Larven ins zentrale Nervensystem, vor allem in das Gehirn, einwandern. Diese Patienten werden meist nur durch Zufall diagnostiziert. Da sind Menschen mit der Symptomatik eines  Schlaganfalls oder einer Querschnittslähmung dabei. Nach einer antihelminthischen Therapie bessert sich der Zustand dieser Patienten deutlich.

Leben die Larven, die beim Menschen Probleme verursachen, oder sind diese bereits abgestorben?

Im Menschen findet man nur die Larven, da diese sich im Menschen nicht zum adulten Tier entwickeln können. Hier landen sie nur irrtümlicherweise. Eigentlich wollen sie ja in einen Hund oder eine Katze hinein. Nach dem Schlüpfen aus den Wurmeiern wandern die Larven über den Blutkreislauf zwischen Herz, Lunge, Leber und quasi jedem anderen Organ umher.

Zeit ihres Lebens bleiben sie immer eine Larve von unter einem Millimeter, können aber viele Jahre im Menschen überleben, wobei sie aktiv wandern oder hämatogen oder lymphogen weitertransportiert werden.

Wann sollte man sich auf Wurmerkrankungen untersuchen lassen?

Ärzte sollten dann an einen möglichen Wurmbefall denken, wenn bei ungeklärter Ursache alle gängigen, naheliegenden Verdachtsdiagnosen ausgeschlossen werden konnten und der Patient über einen längeren Zeitraum eine erhöhte Konzentration an Eosinophilen im Blutbild zeigt. Eine Untersuchung des Blutserums der Patienten auf spezifische Antikörper kann dann Klarheit schaffen. 

In Österreich gibt es ein Referenzlabor für Toxokarose, in Deutschland nicht. Wird das Risiko einer Toxokarose in Deutschland unterschätzt?

Das Risiko wird in beiden Ländern unterschätzt. Speziell in Deutschland werden humanpathologische Aspekte von Tierparasiten wie Toxocara in der humanmedizinischen Lehre und auch in den Arztpraxen bisher zu wenig beachtet.

Hier gibt es ganz klar Nachholbedarf. Viele Toxokarose-Effekte werden häufig nicht diagnostiziert. Bei unspezifischen Augen- oder Hirnerkrankungen gehört ein Test auf Antikörper gegen Wurmlarven zudem nicht zu den Standardtests.

Ist das Risiko durch Fuchs- und Hundebandwurm geringer einzuschätzen als durch Toxocara?

Ja, auf jeden Fall. Der Hundebandwurm Echinococcus granulosus spielt in Mitteleuropa überhaupt keine Rolle mehr. Die Erkrankungen, die wir hierzulande sehen, sind fast ausschließlich importierte Fälle, die z.B. aus dem Urlaub mit nach Deutschland geschleppt werden.

Ein bisschen anders sieht es beim Fuchsbandwurm Echinococcus multilocularis aus. Allerdings haben Hunde und Katzen eine wesentlich geringere Empfänglichkeit für den Fuchsbandwurm. Die Gefahr für den Menschen geht hier vor allem von der Ausbreitung der Füchse aus.

Was empfehlen Sie zum Schutz des Menschen vor Hund- und Katzenspulwurm?

Die einfachste Möglichkeit, sich als Halter vor Spulwürmern zu schützen, ist, sich nach Kontakt mit den Tieren, mit Erdboden oder mit Gegenständen aus dem Haustierumfeld gründlich die Hände zu waschen. Wurmeier, die mit Hunde- oder Katzenkot frisch ausgeschieden werden, sind ca. 4 Wochen nicht infektiös, erst danach werden sie das.

Dann sind die Tierexkremente nicht mehr als solche zu erkennen und die infektiösen Wurmeier befinden sich einfach auf der Erde oder im Gras. Wichtig ist auch, dass Katzen- und Hundebesitzer nach Empfehlung des Tierarztes regelmäßige Entwurmungen bei ihren Tieren durchführen. Damit schützt man nicht nur das eigene Tier, sondern verhindert auch die weitere Verbreitung der Spulwürmer.

Viele Hundebesitzer greifen erst dann zu einem Parasitenmittel, wenn sie einen Befall feststellen. Welche Vorteile hat die regelmäßige Vorsorge gegenüber der akuten Behandlung?

Ganz allgemein kann man sagen: Entwurmung – je früher und regelmäßiger, desto besser. Und das unabhängig davon, ob in der Stadt oder auf dem Land. Aber: Es ist nie zu spät, mit regelmäßiger Entwurmung von Hund oder Katze zu beginnen, um das Spulwurm-Risiko für das Tier und für sich selbst und seine Familie zu verringern.

Erschienen in der hundkatzepferd Vet, Ausgabe 02/16



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