Gebührenordnung für Tierärzte und Dispensierrecht sichern die Qualität tierärztlicher Versorgung in Deutschland

(11.01.2014) Prof. Dr. Theodor Mantel, Präsident der Bundestierärztekammer, anlässlich des 7. Leipziger Tierärztekongresses im Interview

Für die rund 200.000 Veterinärmediziner innerhalb der 28 EU-Mitgliedsstaaten gelten unterschiedliche juristische Rahmenbedingungen. Daher prüft die EU, ob und wie die nationalen Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen vereinheitlicht werden können.

Welche Auswirkungen auf die in Deutschland geltende Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) und das Dispensierrecht sind denkbar? Wie sehen die Chancen und Risiken für die mehr als 37.000 in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Tierärztinnen und Tierärzte aus?

Diese und weitere Fragen diskutieren Experten im berufspolitischen Forum des 7. Leipziger Tierärztekongresses (16. bis 18. Januar 2014) über die „Die Zukunft des Tierarztes – ohne GOT und Dispensierrecht“. Prof. Dr. Theodor Mantel, Präsident der Bundestierärztekammer, gibt im Interview vorab einen Ausblick auf die aktuelle Debatte.

Was ist aus Ihrer Sicht der Hintergrund für die Pläne?

Von einer möglichst umfassenden „Deregulierung“, die auch die Abschaffung der GOT umfassen könnte, verspricht sich die EU-Kommission, angeblich den Wettbewerb pauschal fördern zu können und damit ein höheres Wachstum zu erzeugen. Freilich bleibt sie äußerst vage, was die Belege für einen solchen Zusammenhang betrifft. Durch den Wegfall des Dispensierrechts soll der Antibiotikaverbrauch reduziert und damit die Resistenzproblematik günstig beeinflusst werden.

Können die geplanten europäischen Gesetzesänderungen tatsächlich die Ausbreitung der Antibiotikaresistenzen eindämmen?

Nach meiner Meinung ist das zu kurz gesprungen. Die Antibiotikaresistenzen haben multifaktorielle Ursachen und sind entsprechend auch so anzugehen. Im Übrigen ist die Kontrolle des deutschen Dispensierrechts durch die staatlichen Überwachungsbehörden im Gegensatz zu allen anderen in Europa verbreiteten Vertriebswegen für Tierarzneimittel klar und eindeutig geregelt.

Für die Überwachung ist bei Tierbesitzer und Tierarzt gleichermaßen die Untere Veterinärbehörde zuständig. Gerade das tierärztliche Dispensierrecht gewährleistet deshalb in Deutschland die Eindeutigkeit des Vertriebswegs von Tierarzneimitteln.

Was wären geeignete Maßnahmen diese weltweite Herausforderung zu meistern?

Aus veterinärmedizinischer Sicht gilt es, den Gesundheitsstatus der Nutztierpopulation zu verbessern, um so den Anitibiotikaeinsatz zu reduzieren. Schließlich spielen die Haltungsbedingungen, für die der Tierhalter verantwortlich ist, eine entscheidende Rolle.

Je besser die Haltungsbedingungen, desto seltener erkranken Tiere und desto seltener werden überhaupt Arzneimittel benötigt. Maßnahmen, die in der Humanmedizin zu ergreifen wären, sind gesondert zu prüfen.

Wie steht die deutsche Politik zu den EU-Plänen? Welchen Einfluss hat die deutsche Politik auf die EU in diesen Fragen? Welchen Einfluss nehmen die deutschen Tierärztekammern wiederum auf die nationale und europäische Politik?

Hier gilt es, die Frage nach der GOT und dem Dispensierrecht zu unterscheiden.
Was die Gebührenordnung angeht, ist diese im großen Kontext des deutschen Systems der Regulierung der Freien Berufe zu sehen.

Hier fährt die EU-Kommission eine Generaloffensive. Im Zusammenhang mit der überarbeiteten Berufsqualifikationsrichtlinie stellt sie alle Berufszugangs- und -ausübungsregelungen unter den Generalverdacht, wettbewerbsbehindernd zu wirken.

Dass das deutsche Recht ein ausbalanciertes System ist, das vorbeugender Qualitätssicherung Vorrang vor nachträglicher Haftung einräumt, geht dabei unter.

Das erklärt aber die klare Position der deutschen Politik: Sowohl das federführend mit Brüssel verhandelnde Wirtschaftsministerium wie der Bundesrat haben sich positioniert.

Sie wollen das deutsche System, zu dem die GOT ausdrücklich zählt, erhalten. Inwieweit die Kommission sich im Rahmen ihres angeblich ergebnisoffenen Prüfprozesses darauf einlässt, steht auf einem anderen Blatt.

Die BTK steht in dieser Frage zudem in engem Kontakt zum Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt), der als Mitglied des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB) zu diesem Thema in Deutschland wie Europa intensive berufspolitische Arbeit leistet.

Beim Dispensierrecht ist das Prüfverfahren des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) abzuwarten. Ich erwarte einen sachlichen Prozess, zumal inzwischen belastbare Zahlen durch DIMDI und das QS-System vorliegen.

Sie belegen, dass die Tierärzte verantwortungsvoll mit Antibiotika umgehen. Ich bin optimistisch, dass das bewährte Dispensierrecht bestätigt wird. In Europa wiederum geschieht in Sachen Dispensierrecht (Stichwort hier: „decoupling“) nichts mehr vor der Europawahl 2014. Erst wenn die Kommission im Anschluss neu besetzt ist, wird sich zeigen, wohin die EU steuert.

Einige europäische Länder haben bereits Erfahrungen mit dem Ausstieg aus einer Gebührenordnung gemacht und in Frankreich kämpfen die Tierärzte aktuell gegen eine Veränderung des Dispensierrechts. Wie beurteilen Sie die Marktveränderungen für die Tierärzte und ihre Kunden in diesen Ländern?

Natürlich gibt es ein (wirtschaftliches Über-) Leben nach der GOT. Wer schon jetzt seine  Praxis nach betriebswirtschaftlichen Denkweisen führt, kann auch ohne Gebührenordnung profitabel arbeiten. Dennoch bietet sie Orientierung, für die tierärztliche Preisfindung und ist zugleich ein verlässlicher Anhaltspunkt für den Verbraucher.

Beim Dispensierrecht ist die Sache komplex: Dass Tierärzte am Verkauf von Arzneimitteln Geld verdienen können, ist nur ein Aspekt. Für das Bereithalten von Arzneimitteln zur zügigen Behandlung von Patienten entstehen einer Tierarztpraxis das Liquiditätsrisiko wie auch Lager- und Verwaltungskosten.

Die Abgabepreise an die Tierbesitzer regelt zudem die Arzneimittel-Preisverordnung. Kein verantwortungsvoller Kollege wird zudem Medikamente verschreiben, die unnötig wären. Insofern wäre es fahrlässig, den wirtschaftlichen Praxiserfolg auf den Verkauf von Arzneimitteln zu stützen.

Das Dispensierrecht hat aber viele andere Facetten, etwa Vorteile beim Tierschutz, weil Medikamente schnell und vom Fachmann genau nach Bedarf verfügbar sind oder – wie erwähnt – der klare, einfach kontrollierbare Vertriebsweg. Dafür lohnt es sich, zu kämpfen.

Daher auch der eindrucksvolle Einsatz der französischen Kollegen: Rund 9.000 Tierärzte kamen allein zur zentralen Kundgebung nach Paris. Ob die deutschen Tierärzte auch so kraftvoll kämpfen könnten?

Muss die Abschaffung der GOT im Preisdumping und Leistungsverfall münden? Oder liegt in der Angleichung der europäischen Systeme auch eine Chance für den wirtschaftlichen Erfolg der Tierärzte und damit eine bessere Zukunftsperspektive für den Berufsstand?

Es besteht auf jeden Fall die Gefahr, dass es nach Abschaffung der GOT zu Wettbewerbsverzerrungen und ggf. auch zu einem Abfall der Qualität tierärztlicher Leistungen kommen wird – zu Lasten der Patienten. Ohnehin gibt die GOT keine starren Fixpreise vor, sondern erlaubt eine wohldurchdachte Bandbreite zugelassener Honorare für betriebswirtschaftliches Arbeiten.

Gleichwohl setzt sie durch das System von Einfach- bis Dreifachsatz feste Unter- und Obergrenzen. Letzteres hat im komplexen Feld tierärztlicher Tätigkeiten zahlreiche überzeugende und beabsichtigte Gründe, nach unten zum Wohl der Qualität der tierärztlichen Dienstleistungen, nach oben zu Gunsten von Rechtsfrieden und erschwinglichen Preisen für eine besondere „Ware“, die schon aus Tierschutzgründen nicht völlig frei gehandelt werden sollte.

Eine bessere Zukunftsperspektive für den Berufstand durch Abschaffung der GOT kann ich nicht sehen.

Nicht nur die EU arbeitet beständig an den juristischen Rahmenbedingungen für die Veterinärmedizin. Auf nationaler Ebene tritt ab 2014 die 16. Arzneimittel-Novelle in Kraft. Welche Auswirkungen wird die Novelle auf die Tierarztpraxen, insbesondere die Nutztierpraxen, in Deutschland haben?

Zunächst wird mit Inkrafttreten der 16. AMG-Novelle speziell für die in der Nutztierpraxis tätige Kollegenschaft ein erhöhter bürokratischer Aufwand zu erfüllen sein.

Andererseits eröffnen sich für den Berufsstand aber auch Chancen, im Rahmen der Bestandsbetreuung vermehrt tierärztliches Fachwissen einzubringen und so effizient zu einer Optimierung der Tiergesundheit (und damit auch des Tierschutzes)  beizutragen.

Zum 7. Leipziger Tierärztekongress treffen sich nicht nur aktive Veterinärmediziner. Auch zahlreiche Studenten nutzen den Kongress. Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten der künftigen Tierärzte in Deutschland ein?

Die Zukunftsaussichten der künftigen Tierärztinnen und Tierärzte sind differenziert zu betrachten: Während in der Kleintier- und auch Pferdepraxis – in den Ballungsräumen und im Einzugsbereich der tierärztlichen Bildungsstätten – ein Überangebot an Tierärzten besteht, ist in der Nutztierpraxis regional unterschiedlich ein Tierarztmangel festzustellen.

Grundsätzlich gilt: Die jungen Tierärztinnen und Tierärzte sollten flexibel hinsichtlich ihrer späteren Laufbahn sein.

Sie sollten sich bereits während des Studiums durch Praktika etc. auch über Tätigkeitsfelder außerhalb der klassischen kurativen Praxis, wie zum Beispiel öffentlicher Dienst, Wissenschaft, Industrie etc. informieren.




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