Experten plädieren für mehr Raufutter in der Pferdefütterung

(08.10.2013) Der Deutschen Reiterlichen Vereinigung zufolge leben geschätzte 1,2 Millionen Pferde in Deutschland. Die Anzahl hat sich nach dieser Hochrechnung in den letzten vierzig Jahren vervierfacht. Die Gesunderhaltung einer so großen Population ist eine große Aufgabe für die Tiermedizin.

Dazu gehört auch die „richtige“ Ernährung der Tiere. „Raufutter beim Pferd: Quo vadis?“ fragen daher Veterinärmediziner im gleichnamigen Vortragsblock auf dem 7. Leipziger Tierärztekongress (16. bis 18. Januar 2014).

Nur Raufutter, geht das? Im Prinzip ja. „Allerdings kommt es auf das Pferd und das Raufutter an“, meint Prof. Dr. Ellen Kienzle vom Veterinärwissenschaftliches Department, Lehrstuhl für Tierernährung und Diätetik, der Ludwig-Maximilians-Universität München.

„Beide müssen zusammenpassen, dann ist es sehr wohl möglich, Pferde verschiedenster Nutzungsgruppen überwiegend mit Raufutter – Heu, Silagen, Weide – zu ernähren.“

Doch dem Prinzip stehen, wie so oft, die Praxisbedingungen entgegen, berichtet die Forscherin: Die Energie aus Raufutter ist erheblich teurer als Energie aus Getreide. Das Handling von Kraftfutter ist wesentlich einfacher als das von Raufutter. Es fällt pro Energieeinheit bis zu 50 Prozent mehr Kot an.

Zudem kann bei einer sehr lang andauernden Arbeitsleistung der Pferde oder langem Aufenthalt im Auslauf ohne Futter die Zeit zur Futteraufnahme nicht ausreichen, wenn nur Raufutter gefüttert wird.

Und nicht zuletzt glauben gerade im Pferdesport nicht alle Verantwortlichen, dass die Tiere die erwünschten Leistungen ohne einen hohen Getreideanteil in der Ration erzielen.

In ihrem Vortrag auf dem 7. Leipziger Tierärztekongress erläutert die Professorin im Detail, warum ein hoher Anteil an Raufutter bei Pferden dennoch wünschenswert ist und worauf man bei dieser Art der Ernährung achten muss. Denn der Austausch von Kraftfutter gegen Raufutter beeinflusst den Verdauungskanal, den Plasmaglucosespiegel, die Insulinausschüttung sowie das Verhalten der Tiere.

Gibt es Alternativen zu Gras, Heu und Silagen?

Gleich mehrere ergänzende Futtermittel zum Raufutter wird PD Dr. Ingrid Vervuert, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Tierernährung, Ernährungsschäden und Diätetik der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig, in ihren Vortrag vorstellen.

Gerade die verstärkte industrielle Nutzung nachwachsender Rohstoffe, etwa für die Energiegewinnung, und die teilweise erheblichen klimatischen Veränderungen machten ein Nachdenken über das Thema Raufutter für Pferde notwendig.

Die Spezialistin für Tierernährung betont jedoch, dass getrocknetes Grünfutter, Maissilagen, Stroh oder Wurzeln und Knollen eine Ergänzung und keinen Ersatz für Gras, Heu oder Heulage darstellen.

Grünmehle und Luzernehäcksel seien sogar aus energetischer Sicht dem Heu überlegen. Bei der täglichen Verfütterung entsprechender Mengen Luzernehäcksel oder Heucobs von 0,8-1 Kilogramm pro 100 Kilogramm Körpermasse könnte der Heuanteil in der Ration daher deutlich reduziert werden. In diesem Fall reiche ein Heuanteil von etwa 0,7-1 Kilogramm je 100 Kilogramm Körpermasse aus.

Auch Maissilage von etwa ein bis drei Kilogramm pro 100 Kilogramm Körpergewicht eignet sich der Expertin zufolge für das tägliche Pferdefutter.

So belege eine aktuelle Studie, dass die Verfütterung einer kombinierten Mais- und Grassilagenmischung im Vergleich zu einer Heu- oder Luzernehäckselfütterung, die Inzidenz an Magengeschwüren im Bereich der Pylorus bei Absatzfohlen senkt.

Stroh als Futter kann bis zu einem halben Kilogramm pro 100 Kilogramm Körpermasse bei Pferden eingesetzt werden, bei Extensivrassen sind höhere Mengen – ein Kilogramm pro 100 Kilogramm Körpermasse – in Kombination zum Beispiel mit Trockenschnitzeln möglich.

Zu beachten sei, dass das Risiko der Obstipationskolik bei übermäßiger Strohfütterung durch Bewegungs- und Wassermangel sowie bei alten Pferden mit ungenügender Kauaktivität ansteige. Die Zulage fermentierbarer Kohlenhydrate wie Trockenschnitzel vermindere aber das Risiko.

Die Verfütterung von Futterrüben und Möhren stelle eine weitere Alternative bei knappen Grünfutterreserven dar. Hier seien fünf Kilogramm pro 100 Kilogramm Körpermasse in Kombination mit täglichen Mindestmengen an Heu von ein bis 1,2 Kilogramm je 100 Kilogramm Körpermasse als Futtermittel denkbar.

Zudem könnten die sogenannten Trockenschnitzel, ein Nebenprodukt aus der Zuckerrübenverarbeitung, an Pferde problemlos bis rund einem halbem Kilogramm pro 100 Kilogramm Körpermasse täglich in Kombination mit Mindestheumengen von rund einem Kilogramm je 100 Kilogramm Körpermasse verfüttert werden.

Welchen Einfluss hat Raufutter auf die Gesundheit der Pferde?

Dieser Frage geht Prof. Dr. Manfred Coenen, Leiter des Instituts für Tierernährung, Ernährungsschäden und Diätetik der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig in seinem Referat unter dem Titel „Gesundheitsrelevante Aspekte von Raufutter beim Pferd“ nach. Professor Coenen zufolge besteht ein enger Zusammenhang zwischen Raufutter und dem Verhalten, der Funktion des Atem- und Verdauungstraktes sowie der endokrinen Regelkreise der Pferde.

Der Experte fordert eine stärkere Würdigung dieser Futtermittelgruppe durch die Veterinärmedizin: „Das Futteraufnahmevermögen des gesunden Pferdes ist aber unkritisch und allgemein ausreichend, auch bei hohem Bedarf, große Raufuttermengen, außer Stroh, einzusetzen.

Die auch bei hoher Qualität in der Regel im Raufutter nicht ausreichend vorhandenen Nährstoffe können problemlos ergänzt werden. Anspruchsvoller und nach Praxiserfahrungen offenbar nicht befriedigend ist die Kontrolle der hygienischen Beschaffenheit und der botanischen Qualität, Stichwort Giftpflanzen, des Raufutters.“

Allein aus ethologischer Sicht ergebe sich ein Bedarf an Raufutter. Diese sollten so dosiert werden, dass die Tiere zwischen sechs und acht Stunden pro Tag mit der Futteraufnahme verbringen können. Zudem entspreche Raufutter der anatomischen und verdauungsphysiologischen Funktionalität von Kopfdarm und Magen und es trage über den praecaecalen Abschnitt des Magen/Darmtraktes zu hohen Passageraten und -volumina bei.

Hoch verdauliches Raufutter begünstigt die „Transportfähigkeit“ des Chymus und die Wasserabsorption im Dickdarm. Ein gesundes Pferd verliert bei ausreichender Verfügbarkeit von qualitativ durchschnittlichem Raufutter keine Körpermasse, so der Experte.

Hygienestatus wie bei Lebensmitteln?

Das Angebot von Raufutter kann sich in vielerlei Hinsicht positiv auf die Tiergesundheit auswirken. Voraussetzung dafür ist aber ein einwandfreier Hygienestatus von Futtermittel, Wasser und Einstreu, erklären Prof. Dr. Josef Kamphues und Dr. Petra Wolf vom Institut für Tierernährung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover.

In ihrem Vortrag „Zum Hygienestatus von Grundfuttermitteln“ erläutern sie die Maßnahmen zur Sicherung eines hohen Hygienestatus von der Ernte des Futters über die Konservierung und Lagerung bis hin zur Vorlage im Trog.

Bereits bei der Futtergewinnung und Ernte kann es zu Kontaminationen durch Erde, Dung-/Kuhfladenreste, Tierkadaver oder Überschwemmungen kommen. Bei der Lagerung des Futters seien vor allem beschädigte Folien oder Schadnager und ihre Exkremente in den Silagen ein Risiko.

„Aus Sicht der Fütterungshygiene stellt deshalb die Zugänglichkeit und Einsehbarkeit von Kraftfuttersilos nicht nur eine berechtigte, sondern eine zwingende Anforderung dar, die bislang in der Praxis nicht Berücksichtigung findet“, betonen die Autoren. Kontaminationen seien ebenso im Stallinneren oder im Trog mit seinem Zubehör möglich.

Ein Risiko stelle eventuell auch die Wasserversorgung bzw. -qualität dar. Vor allem Wasser aus Vorflutern und Gräben habe in der Vergangenheit nicht selten zu Erkrankungen geführt.

Das Fazit der Experten lautet: „Die Fütterungshygiene, das heißt Hygiene der Prozesse von der Ernte bis zum Angebot des Futters an das Tier bedarf systematischer Untersuchungen, die dem Weg des Futters folgen, um ihre Bedeutung für die Qualität des Endprodukts noch besser beurteilen zu können. Futter und Wasser müssen nicht grundsätzlich schon Lebensmittelqualität haben, nur weil sie bei lebensmittelliefernden Tieren zum Einsatz kommen.

Sie müssen aber eine Qualität aufweisen, die eine Gefährdung von Tieren und eine nachteilige Beeinflussung der Lebensmittelqualität weitestgehend ausschließen.“




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